(openPR) Die östliche Framstraße ist stark von den Folgen des Klimawandels betroffen, was sich auch auf die dort lebenden Arten auswirkt. So führen steigende Meerestemperaturen unter anderem zu einem deutlichen Rückgang des Meereises und zu Verschiebungen im Nahrungsnetz. Für Bartenwalarten, die saisonale Wanderungen unternehmen, ist der östliche Teil der Framstraße zwischen Svalbard und Grönland eine wichtige Region, denn dort transportiert eine Meeresströmung relativ warmes Wasser in die Arktis, was wiederum eine hohe biologische Produktivität bedingt. Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) betreibt in diesem Gebiet seit 2014 das Ozean-Beobachtungssystem FRAM (Frontiers in Arctic Marine Monitoring), um langfristige Veränderungen zu untersuchen. Teil des Observatoriums sind akustische Langzeitbeobachtungen bei denen im Ozean verankerte Rekorder mit Hilfe von Hydrophonen (Unterwasser-Mikrofonen) Geräusche aufzeichnen, beispielsweise die Rufe von Walen. Diese schaffen eine Grundlage für die Untersuchung von Artenvorkommen, insbesondere im Hinblick auf mögliche klimawandelbedingte Veränderungen, einzelne Geräte waren bereits vor der Einrichtung des FRAM-Observatoriums ausgebracht worden, außerdem steuerte das Pacific Marine Environmental Laboratory der NOAA zwei Datensätze bei.
„Fortschreitende Veränderungen des Lebensraums, wie der Rückgang des Meereises, werden voraussichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Vorkommen mariner Säugetiere haben“, berichtet Marlene Meister, Doktorandin am Alfred-Wegener-Institut und Erstautorin der aktuellen Studie. Daher erwarten die Forschenden unter anderem, dass Blau- und Finnwale, die vorwiegend im Sommer und Herbst aus dem Nordatlantik in die Framstraße zum Fressen migrieren, ihren Aufenthalt dort räumlich und zeitlich ausdehnen oder möglicherweise das ganze Jahr über dort verweilen. In der aktuellen Publikation untersuchten sie deshalb saisonale Muster im akustischen Vorkommen von Blau- und Finnwalen im Zeitraum von 2012 bis 2021.
„Das Migrationsverhalten von Finnwalen ist als relativ flexibel bekannt und die Tiere waren auch das ganze Jahr über zu hören. Überrascht waren wir jedoch, dass wir in drei der zehn Beobachtungsjahre vereinzelte Tage mit Blauwalruf-Detektionen im Januar oder Februar gefunden haben“, sagt Marlene Meister. Dies sei ungewöhnlich, da angenommen wird, dass die Tiere sich zu diesem Zeitpunkt in südlicheren Gebieten aufhalten. „Die sporadische akustische Präsenz im Winter deutet darauf hin, dass einzelne Tiere ihren saisonalen Aufenthalt in der Framstraße verlängern oder zu dieser Jahreszeit aus südlicheren Aufenthaltsorten in das Gebiet zurückkehren. Das Migrationsverhalten von Blauwalen im Nordatlantik gilt eigentlich als recht verlässlich, weshalb ich einen auf Sommer und Herbst begrenzten Aufenthalt der Tiere erwartet hätte“, berichtet die AWI-Biologin weiter. Weil es vor 2012 keine akustischen Langzeitaufnahmen aus der östlichen Framstraße gab, ließe sich allerdings nicht mit Sicherheit sagen, dass das (akustische) Vorkommen von Blauwalen im Winter in der Framstraße ein neues, klimawandelbedingtes Phänomen ist. Insgesamt konnte das Forschungsteam einen deutlichen Einfluss von Meerestemperatur und Zooplanktonvorkommen auf die akustische Präsenz von Blauwalen feststellen.
Das Forschungsteam leistet einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung des Artenvorkommens und damit zur Dokumentation potenzieller klimawandelbedingter Veränderungen. Zudem unterstreicht die Veröffentlichung die Bedeutung der Framstraße als einen wertvollen Lebensraum für Bartenwale (vermutlich als Fresshabitat) und trägt zu einem besseren Verständnis des Wanderungsverhaltens verschiedener Arten bei. Die angewandte Methode, das Passive Akustische Monitoring (PAM), ist besonders wichtig, um das (akustische) Artenvorkommen ganzjährig und auch unter widrigen Bedingungen zu untersuchen, und wird daher vom AWI im FRAM-Observatorium als Teil der Langzeitforschung fortgesetzt. Schließlich sind vor allem im Winter visuelle Beobachtungen aufgrund von Eisbedeckung und Dunkelheit nahezu unmöglich.
Ein verbessertes Verständnis von Artenvorkommen, Habitatnutzung und Migrationsverhalten ermöglicht es, Schutzmaßnahmen gezielter einzusetzen. Diese sind momentan von besonderer Bedeutung: Der Rückgang des Meereises macht den Arktischen Ozean für menschliche Aktivitäten immer zugänglicher. Der steigende Schiffsverkehr in der Arktis, etwa entlang der Nordwest- oder Nordostpassage, führt zu erhöhtem anthropogenem Stress für marine Säugetiere. Unterwasserlärm, vor allem durch Schiffsmotoren und seismische Untersuchungen, beeinträchtigt bereits heute die Kommunikation von Bartenwalen. Zudem drohen zusätzliche Gefahren durch vermehrte Schiffskollisionen, Lebensraumzerstörungen und Ölverschmutzungen. Effektive Maßnahmen zur Reduzierung von anthropogenem Stress sind daher in Zeiten des Klimawandels umso wichtiger.
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