(openPR) Für die Forschung sind ausreisepflichtige Personen schwer erreichbar. In der „Machbarkeitsstudie zur Im-/Mobilität ausreisepflichtiger Personen in Deutschland“ (MIMAP) erprobt das BAMF-FZ mit innovativen Erhebungsverfahren den Zugang zu ausreisepflichtigen Personen mit ablehnendem Asylbescheid. Aus anderen MIMAP-Analysen ist bekannt, dass geduldete Personen nach einigen Jahren des Aufenthalts in Deutschland eine ähnliche Erwerbsbeteiligung wie vergleichbare Bleibeberechtigte haben und ähnlich gut die deutsche Sprache beherrschen. Ergänzend zu diesen quantitativen Erkenntnissen widmet sich die neue Kurzanalyse nun den subjektiven Gründen und Handlungsspielräumen für den Verbleib oder die Rückkehr.
In der Kurzanalyse wurden zehn geduldete Personen mit ablehnendem Asylbescheid in einem Zeitraum von zehn Monaten mehrfach in ihrem Lebensalltag begleitet und interviewt. „In erster Linie ging es darum herauszufinden, welche individuellen Beweggründe mit zunehmender Aufenthaltsdauer in der Duldung eher für einen Verbleib in Deutschland sprechen als für eine Rückkehr – trotz geringer rechtlicher Bleibe- und Partizipationsperspektiven und bestehender Angebote zur freiwilligen Rückkehr“, so Dr. Lisa Johnson, wissenschaftliche Mitarbeiterin im BAMF-FZ. Bei der Frage nach dem Verbleib in Deutschland geht es dabei nicht nur um eine freiwillige Entscheidung, auch unfreiwillige Aufenthaltszeiten beispielsweise als Opfer des Menschenhandels oder Phasen des sogenannten „Untertauchens“ – des Aufenthalts in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität – waren Gegenstand der Gespräche mit den Teilnehmenden. Zugleich wurden Rückkehraspirationen und Optionen der Weiterwanderung in ein anderes Land thematisiert. Die Studienautorin hat für die Kurzanalyse drei Frauen und sieben Männer aus dem anglophonen Westafrika (AWA) im Alter zwischen 23 und 64 Jahren befragt, die sich seit acht bis 25 Jahren in der EU, davon mehr als fünf Jahre in Deutschland, aufhalten und mehrheitlich in Gemeinschaftsunterkünften leben.
In politischen Debatten sowie einigen Studien wird häufig die Annahme vertreten, dass geduldete Personen die Rückkehroption per se ablehnen oder sich mit dem Thema Rückkehr ins Herkunftsland aus Angst vor einer Rückführung nicht proaktiv auseinandersetzen. Die Erkenntnisse aus der vorliegenden Kurzanalyse zeigen, dass die Forschungsteilnehmenden eine Rückkehroption durchaus in Erwägung ziehen, sich jedoch aus diversen Gründen dagegen entscheiden. Die Studienautorin ergänzt: „Die lange Abwesenheit sowie die fehlende Option, in der Duldung zu Besuchszwecken ins Herkunftsland zu reisen, tragen zu einer zunehmenden Entfremdung bei.“ Weitere Faktoren, die die Geduldeten eher zum Verbleib in Deutschland veranlassen, sind die Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung am Herkunftsort, negative Berichte von bereits Zurückgekehrten sowie die Wahrnehmung, im Herkunftsland keine Lebenschancen zu haben. Aufgrund der langen und beschwerlichen, zum Teil traumatisierenden Migrationswege bestehen zudem eine anhaltende Migrationsmüdigkeit sowie der Wunsch nach einer Normalisierung des eigenen Lebens, die sich die Befragten zunehmend in Deutschland erhoffen.
Einzelne Forschungsteilnehmende haben Angebote der Rückkehrberatung in Anspruch genommen. „Die Aussagen der Interviewten machen jedoch deutlich, dass das Vertrauen in diese Rückkehrberatungsangebote nicht aufgebaut werden konnte. Es kursieren viele Gerüchte und Fehlinformationen in sozialen Netzwerken. Der Kontakt mit den Ausländerbehörden ist stets mit der Angst vor einer Rückführung verbunden. Es besteht bei den Forschungsteilnehmenden kein umfassendes Wissen über alle existierenden Beratungsangebote“, so die Wissenschaftlerin. „Eine frühzeitige und mehrfache, aber auch vertrauensvolle Ansprache und Beratung könnte dazu beitragen, dass ausreisepflichtige Personen existierende Rückkehrangebote positiver wahrnehmen“, resümiert Dr. Lisa Johnson.
Die alltäglichen Probleme und Einschränkungen, die die Befragten infolge einer Duldung erleben, werden abgemildert, sobald sich die betroffenen Personen auf Deutsch verständigen können. Die Aufnahme einer Beschäftigung – sei es als Gelegenheitsjob oder in Form einer informellen Beschäftigung – stellt ebenfalls eine relevante Ressource zur Herstellung von Selbständigkeit, Unabhängigkeit und der Gestaltung des Lebensalltags dar. „Für Mütter ist der Zugang zu Sprachkursen oft aufgrund bestehender familiärer Verpflichtungen schwieriger. Häufig erlernen sie die deutsche Sprache durch das Nachgehen von Freizeitaktivitäten und verschaffen sich auf diese Weise Zugang und Kontakt zur Lokalbevölkerung. Dadurch kann auf gewisse Weise eine subjektiv-erlebte lebensweltliche Normalität geschaffen werden“, erklärt Dr. Lisa Johnson. Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Bleibeneigung von Geduldeten nehmen soziale Kontakte ein. Vor allem in der ersten Zeit nach der Ankunft in Deutschland bieten sie ein weitreichendes Unterstützungspotenzial in der Bewältigung von Bürokratie, medizinischer Versorgung sowie im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen. Gegen Ende des MIMAP-Forschungsprojekts trat das Chancen-Aufenthaltsrecht in Kraft, das für geduldete Personen unter gewissen Voraussetzungen eine 18-monatige Aufenthaltserlaubnis auf Probe vorsieht. Die Neuregelung verstärkte bei den Forschungsteilnehmenden Hoffnungen auf einen dauerhaften und legalen Aufenthalt in Deutschland, obgleich der Druck, diverse Anforderungen erfüllen zu müssen, als belastend empfunden wurde.
Durch ihren qualitativ-ethnographischen Fokus auf Einzelfälle liefert die vorliegende Kurzanalyse Erkenntnisse zu Bleibe- und Rückkehraspirationen von ausreisepflichtigen Personen, indem sie lebensweltliche Facetten und Beweggründe von geduldeten Personen beleuchtet. Es wird deutlich, dass Geduldete im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten als handlungsfähige Individuen auf ihre Lebenswelt einwirken können. Die Analyse der Gespräche bestätigt die Erkenntnisse aus vorherigen Studien, dass ein längerer Verbleib in der Ausreisepflicht in Deutschland eine Rückkehr immer unwahrscheinlicher werden lässt. Jedoch fehlen sowohl quantitative als auch qualitative Erkenntnisse insbesondere zu Personen mit geringer Bleibeperspektive, um sinnvolle Aussagen und Vergleiche zwischen Migrantinnen und Migranten unterschiedlicher Herkunft vornehmen zu können.
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Über das BAMF-Forschungszentrum: Mit der Arbeit des 2005 gegründeten Forschungszentrums kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seiner gesetzlichen Aufgabe nach, wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen zu betreiben. Das Forschungszentrum betrachtet das Migrationsgeschehen nach und von Deutschland und analysiert die Auswirkungen der Zuwanderung. Es begleitet Integrationsprozesse und trägt mit seinen Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.