Stefan Kühn, Ökonom und Finanzexperte bei SK Coachin g, analysiert in diesem Artikel, wie sich diese Veränderungen auf Berufe, Prozesse und Geschäftsmodelle auswirken. Sein Ziel: das Bewusstsein für die bevorstehenden Umwälzungen zu schärfen und an die Branche zu appellieren, ihr Innovationspotenzial auszuschöpfen.
Ein prägnantes Beispiel für die disruptive Kraft von KI ist Selma, ein KI-basierter Chatbot, der seit Ostern 2024 mehr als 4.000 Kundengespräche geführt hat. „Der Effizienzgewinn durch Selma zeigt deutlich, wie KI die traditionelle Kundenberatung verändern kann“, sagt Stefan Kühn. Ein Team von 30 Beratern hätte dafür zwei Wochen gebraucht – und rund 375’000 Franken gekostet. Laut einer Studie von Accenture, auf die sich Kühn bezieht, könnte die Produktivität im Bankensektor durch KI um bis zu 30 Prozent steigen. „Die Finanzindustrie könnte sich durch KI stärker verändern als jede andere Branche. Für die Schweiz als wichtigen Finanzplatz sind diese Entwicklungen besonders relevant“, betont der Finanzexperte
Auch in der Versicherungsbranche wird das Potenzial deutlich: KI-Systeme erkennen Betrugsmuster, analysieren Kundendaten und optimieren Prozesse. „Durch den Einsatz von KI können Versicherer nicht nur Kosten senken, sondern auch ihren Service verbessern und schneller auf Kundenbedürfnisse reagieren“, erklärt Kühn.
Der technologische Fortschritt birgt aber auch Risiken. Laut Accenture könnten in der Schweiz bis zu 45% der geleisteten Arbeitsstunden durch KI automatisiert werden. Besonders betroffen sind klassische Büroberufe und hochqualifizierte Tätigkeiten wie Finanzanalyse oder Marketing. “Traditionelle kaufmännische Berufe verlieren an Sicherheit“, sagt Kühn. Er verweist auf den drastischen Wandel des Berufsbildes von Kaufleuten, deren Tätigkeiten zunehmend von KI übernommen werden. „Noch vor wenigen Jahren galt die kaufmännische Ausbildung als sicherer Karriereweg. Heute müssen Berufseinsteiger flexibler und digitaler denken.“
Aber auch Akademikerinnen und Akademiker sind nicht geschützt. „Generative KI automatisiert komplexe geistige Tätigkeiten, die früher als unersetzlich galten“, warnt Kühn . Studien von McKinsey und Accenture zeigen, dass gerade hochqualifizierte Arbeitsbereiche besonders von den Automatisierungspotenzialen betroffen sind.
Eine der größten Hürden für die flächendeckende Einführung von KI sind laut Kühn sogenannte Legacy-Systeme, also veraltete IT-Strukturen. „Während Fintechs wie Revolut komplett digital arbeiten, bremsen fragmentierte IT-Architekturen traditionelle Banken wie die UBS aus“, erklärt der Experte.
Dieser Rückstand zeige, dass der Einsatz von KI nicht nur technologische Anpassungen, sondern auch strategische Entscheidungen erfordere. „Die Finanzindustrie muss verstehen, dass KI weit mehr ist als ein Mittel zur Effizienzsteigerung. Es geht darum, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und den Markt aktiv zu gestalten“, fordert Kühn.
Stefan Kühn sieht in der aktuellen Phase eine entscheidende Chance für die Branche, zukunftsweisende Strategien zu entwickeln. „Die meisten Unternehmen befinden sich noch in der Experimentierphase. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um in Innovationen zu investieren und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterzubilden“, rät er.
Gleichzeitig warnt er vor den Folgen von Untätigkeit: „Wenn neue Wettbewerber mit automatisierten Prozessen auf den Markt drängen, müssen traditionelle Unternehmen reagieren. Wer zu lange zögert, riskiert, abgehängt zu werden.
Die Entwicklungen im Bereich KI bieten der Finanzbranche enorme Chancen, stellen sie aber auch vor große Herausforderungen. „Die Branche muss sich ihres Innovationspotenzials bewusstwerden und den Wandel aktiv gestalten“, appelliert Stefan Kühn.
Mit zukunftsorientierten Strategien, Investitionen in Technologie und einer klaren Vision kann die Finanzindustrie die Vorteile von KI nutzen, ohne ihre Mitarbeiter zu vernachlässigen. „KI ist nicht das Ende der Arbeit – es ist der Beginn einer neuen Ära“, zeigt sich der Finanzexperte optimistisch.