In der Finanztheorie wird Risiko häufig mit Volatilität gleichgesetzt. Diese misst die Schwankungsbreite eines Preises um seinen Mittelwert über einen bestimmten Zeitraum. Die Präzision dieser Definition mag verlockend sein, aber sie ist keineswegs universell anwendbar. Tatsächlich kann das Risiko einer Aktie im Laufe der Zeit stark schwanken. Der Mittelwert allein reicht nicht aus, um die Komplexität der Risiken abzubilden. Rollende Durchschnitte der Volatilität und andere Kennzahlen wie Beta und Korrelation helfen hier, dynamischere Einblicke zu gewinnen.
Ein Paradebeispiel für die Problematik der Risikodefinition ist Nvidia. Das Unternehmen brauchte 30 Jahre, um eine Marktkapitalisierung von einer Billion US-Dollar zu erreichen. In nur neun Monaten verdoppelte sich dieser Wert. Am 17. Juni markierte ein Kursanstieg von 3,5 Prozent einen neuen Meilenstein: Nvidia überholte Apple und Microsoft und wurde zum wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt.
Das explosive Wachstum von Nvidia ist vor allem auf die Nachfrage nach künstlicher Intelligenz (KI) zurückzuführen. Laut FactSet wird sich der Jahresumsatz von Nvidia bis 2025 fast verdoppeln, während Apple im gleichen Zeitraum nur ein Wachstum von 8 % erwartet.
Stefan Kühn erklärt: „Die Volatilität sinkt, wenn die Kursbewegungen fast ausschließlich in eine Richtung gehen. Das macht Nvidia aber nicht weniger riskant. Die Enttäuschungsgefahr bleibt enorm. Werden die Erwartungen nicht erfüllt, kann es zu drastischen Kursrückgängen kommen. Daher sollte man im Portfoliomanagement numerische Größen immer kritisch betrachten und nicht überinterpretieren“.
Ein entscheidender Aspekt im Risikomanagement ist der Zeithorizont. Kühn betont, dass die kurzfristige Volatilität für langfristig orientierte Anleger wenig relevant ist. Wer einen Anlagehorizont von mehr als zehn Jahren hat und nicht auf laufende Verkäufe angewiesen ist, sollte sich von unterjährigen Kursschwankungen nicht beeinflussen lassen. Ein Investor, der sein Portfolio nur einmal im Jahr überprüft, kann sich von der kurzfristigen Volatilität sogar völlig unabhängig machen.
Ein weiteres spannendes Thema ist die Risikoeinschätzung von Private Equity. In der Marketingkommunikation wird oft behauptet, Private Equity-Investitionen seien weniger riskant als börsennotierte Aktien, da sie weniger volatil seien. Diese Aussage ist jedoch irreführend. Die geringere Volatilität von Private Equity resultiert vor allem daraus, dass die Kurse nicht täglich an einer Börse gehandelt werden.
Der Ökonom Stefan Kühn stellt klar: „Volatilität entsteht durch die tägliche Handelbarkeit und die Psychologie der Masse. Bei Private Equity, wo Preise nur sporadisch ermittelt werden, ist die wahrgenommene Stabilität oft eine Illusion. Tatsächlich sollte man mindestens die Volatilität von Small-Cap-Indizes wie dem S-DAX oder der NASDAQ ansetzen“.
Ein Vorteil von Private Equity ist jedoch, dass Investoren durch Lock-up-Perioden von impulsivem Handeln abgehalten werden. Gleichzeitig entfällt aber die Möglichkeit, Verlierer schnell aus dem Portfolio zu entfernen. Diese Gratwanderung erfordert eine sorgfältige Abwägung.
Viele Anleger vertrauen auf die scheinbare Präzision finanzmathematischer Modelle. Doch wie die Finanzkrise 2008 gezeigt hat, kann diese vermeintliche Sicherheit trügen. Banken wie die UBS glaubten, ihre Risiken mit Value-at-Risk-Modellen im Griff zu haben, nur um dann von der Realität eingeholt zu werden.
Für langfristig orientierte Anleger ist es wichtig, Risiko nicht mit Volatilität gleichzusetzen. Der Ökonom Stefan Kühn plädiert für eine Definition, die die Gefahr eines dauerhaften Kapitalverlusts in den Mittelpunkt stellt. Kurzfristige Schwankungen sollten nicht überbewertet werden, da sie oft nur vorübergehender Natur sind. Entscheidend ist, ob eine Anlage langfristig ihren Wert behält oder verliert.
Die moderne Finanztheorie bietet zahlreiche Instrumente, um Risiken zu messen und zu bewerten. Wie Stefan Kühn aufzeigt, ist es jedoch entscheidend, diese Instrumente kritisch zu hinterfragen und nicht blind anzuwenden. Risiko ist weit mehr als eine statistische Größe. Es erfordert ein Verständnis der zugrunde liegenden Dynamiken, einen angemessenen Zeithorizont und die Bereitschaft, auch qualitative Aspekte zu berücksichtigen.
Für langfristig denkende Investoren steht die Vermeidung von dauerhaften Kapitalverlusten im Vordergrund. Dieser Ansatz bietet nicht nur eine realistischere Risikoperspektive, sondern hilft auch, fundiertere Entscheidungen zu treffen.
Die Erkenntnisse von Stefan Kühn sind ein wertvoller Beitrag zur Diskussion über die Grenzen und Möglichkeiten der modernen Finanztheorie.