(openPR) 2024 zeichnet der Forschungsverbund Berlin e. V. (FVB) zwei Nachwuchswissenschaftlerinnen mit dem mit 3.000 Euro dotierten Marthe-Vogt-Preis aus. Dr. Sara Hetzel und Dr. Alexandra Quitmann haben jeweils herausragende Dissertationen auf ihren Gebieten vorgelegt. Der Preis wird traditionell an eine Wissenschaftlerin aus dem Raum Berlin-Brandenburg vergeben, die eine Arbeit in einem der Fachgebiete der FVB-Institute vorgelegt hat. Welche nominierte Kandidatin ausgezeichnet wird, entscheidet eine Preiskommission, die aus Vorstandsmitgliedern des Forschungsverbunds besteht. In diesem Jahr hatte die stellvertretende Vorstandssprecherin Prof. Dr. Dorothea Fiedler, Direktorin am Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie vor, das Amt als Vorsitzende der Kommission inne. Die Kommission hat sich für zwei Gewinnerinnen entschieden.
Die aus Berlin stammende Preisträgerin Dr. Sara Hetzel ist Bioinformatikerin. In ihrer Arbeit mit dem Titel „Investigation of DNA methylation heterogeneity in cancer“ (dt. „Untersuchung der Heterogenität von DNA-Methylierung in Krebszellen“) beschäftigt sie sich mit der Analyse von Daten, die bei der Sequenzierung von DNA entstehen. Zellen haben verschiedene Funktionen – Nervenzellen haben zum Beispiel ganz andere Aufgaben als Muskelzellen. Aber in allen Zellen eines individuellen Lebewesens ist der identische DNA-Satz vorhanden. Trotzdem weiß jede Zelle genau, was sie tun soll, das heißt, welche Teile der gesamten DNA für ihre Funktion wichtig sind und welche nicht. Um mit den Informationen, die ein Gen enthält, arbeiten zu können, wird das Gen gewissermaßen wie eine Festplatte ausgelesen. Dabei ist die DNA-Methylierung eine Möglichkeit, zu regulieren, auf welche Gene zugegriffen wird. Das Auslesen eines bestimmten Gens kann hierbei dadurch verhindert werden, dass Methylgruppen an einen Teil der DNA gebunden sind. Dieser Prozess kann auch rückgängig gemacht werden, um stillgelegte Bereiche der DNA wieder zu aktivieren. Die Methylierungsstruktur der meisten Krebsarten unterscheidet sich auf charakteristische Weise von gesunden Zellen. Hetzels Arbeit bestand darin, eine Software zu entwickeln, mit der die Heterogenität der DNA-Methylierung von Krebszellen effizient analysiert werden kann. Die Software hat sie Forscher*innen öffentlich zur Verfügung gestellt, damit diese damit weiterarbeiten und wertvolle Erkenntnisse sammeln können. Sie hat aber auch selbst Daten analysiert: Mit ihrer Software untersuchte sie, was Krebszellen, die im Labor weitergezüchtet und an denen Medikamente getestet werden, von Krebszellen im menschlichen Körper unterscheidet. In ihrer Forschung am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik sucht Hetzel keine spezielle Behandlungsmethode oder ein Medikament, sondern ist den grundlegenden Funktionsmechanismen von Krebszellen auf der Spur. Diese Grundlagenforschung ist nicht immer leicht zu erklären, weil sie zunächst keine direkte klinische Konsequenz hat. „Aber“, sagt Hetzel, „selbst wenn ich nicht immer alle zukünftigen Anwendungsgebiete meiner Forschung benennen kann, ist es wichtig, zu begreifen, wie etwas funktioniert, damit später zum Beispiel Medikamente und Therapiemethoden entwickelt bzw. weiterentwickelt werden können.“ „Dr. Hetzels Forschungsergebnisse haben unser Verständnis von DNA-Methylierung und ihrer Funktion im Zusammenhang mit menschlichen Krankheiten erweitert und haben daher großes Umsetzungspotential“ – so begründete die Jury ihre Entscheidung.
Herausragende Grundlagenforschung auf ihrem Gebiet hat auch die Mathematikerin Dr. Alexandra Quitmann am Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik betrieben. In ihrer Dissertation mit dem Titel „Phase transitions in random loop models“ (dt. „Phasenveränderungen in zufälligen Schleifenmodellen“) hat sie sich an eines der größten Probleme der statistischen Mechanik herangewagt, das Bose-Einstein-Kondensat. 1924 wandte sich der Physiker Satyendra Nath Bose mit der Bitte um Hilfe bei einer Publikation an Albert Einstein. Am Ende dieser Zusammenarbeit stand eine bahnbrechende Forschungshypothese: die Existenz eines unter Extrembedingungen zustande kommenden Zustands eines Gases aus Bosonen – das sind bestimmte quantenmechanische Teilchen –, der heute unter dem Namen „Bose-Einstein-Kondensat“ bekannt ist. Tritt eine Bose-Einstein-Kondensation auf, entwickelt das Bosonengas ungewöhnliche Eigenschaften wie Suprafluidität, Suprasolidität und Kohärenz über sehr lange Distanzen. Das Verständnis dieses Zustands kann in Zukunft die Entwicklung neuer Technologien wie beispielweise eines ultraschnellen Quantencomputers ermöglichen. Quitmann widmete sich der stochastischen Neuformulierung des Modells durch den Physiker Richard Feynman. Feynman beschrieb das Bosonengas als System, in dem sich die Teilchen zu zufälligen Schleifen zusammenschließen. Bei einer Bose-Einstein-Kondensation bilden sich Schleifen makroskopischer Länge. Der mathematische Nachweis dieses Phänomens ist aufgrund der Interaktionen der Teilchen extrem komplex. Quitmann bewies die Existenz solcher makroskopischer Schleifen. „Das Besondere an der Mathematik“, berichtet Quitmann, „ist, dass es unumgänglich ist, sich mit den Kolleg*innen über die eigene Forschung auszutauschen, sowohl wenn man nicht weiter weiß als auch dann, wenn man glaubt, etwas gefunden zu haben.“ Der Anteil der Frauen in der Mathematik, die nach der Promotion weiter in der Forschung tätig sind, ist nach wie vor vergleichsweise gering, und das obwohl die Quote der Studienanfänger*innen nahezu bei 50:50 liegt. Für Quitmann, die sich bereits in ihrem Graduiertenkolleg für Frauen in der Wahrscheinlichkeitstheorie eingesetzt hat, ist dieser Preis gerade deshalb eine „große Ehre und Anerkennung“. Die Preiskommission ist von ihrer Arbeit beeindruckt: „Alexandra Quitmann hat bei der Beschreibung eines sehr komplexen Problems, der Entstehung eines Bose-Einstein-Kondensats, große Fortschritte erzielt.“
Die Preisverleihung findet am 7. November 2024 in der Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin-Mitte im Rahmen der Berlin Science Week statt. Das Event ist Jahr für Jahr ein Höhepunkt im Programm des Forschungsverbunds. Der Preis wird seit 2001 vergeben; seit 2016 trägt er den Namen der brillanten Pharmakologin Marthe Louise Vogt.