(openPR) Schätzungen zufolge könnten in der Tiefsee bis zu 13 Prozent der noch unentdeckten globalen Öl- und 30 Prozent der Erdgasreserven liegen. Auch deswegen steht der Arktische Ozean zunehmend im Fokus von Politik und Wirtschaft. Neben den Vorkommen von fossilen Brennstoffen bietet die Tiefsee rund um den Nordpol eine Vielzahl wertvoller Ressourcen wie seltene Erden und Metalle. Auch eine Beschleunigung des globalen Handels durch den Transport entlang neuer Nordost- und Nordwestpassagen, sowie ein steigendes Interesse am Arktis-Tourismus sind von wirtschaftlichem Interesse. „Der Klimawandel und das Abschmelzen des Eises ermöglichen zunehmend die Erschließung des Arktischen Ozeans, was jedoch hohe ökologische Risiken birgt“, erklärt Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und weiter: „Obwohl wir mit Hilfe neuartiger Technologien und Infrastrukturen beachtliche Fortschritte gemacht haben, das arktische Ökosystem sehr viel besser zu verstehen, gibt es immer noch große Wissenslücken zu den am Meeresboden lebenden Tiefseegemeinschaften – das zeigt unsere neue Studie deutlich.“
Unter der Federführung von Dr. Eva Ramirez-Llodra und Heidi K. Meyer vom Institute of Marine Research im norwegischen Bergen haben die Senckenbergerinnen Dr. Hanieh Saeedi, Prof. Dr. Angelika Brandt, Prof. Dr. Saskia Brix und sieben weitere Forscher*innen, namentlich Dr. Stefanie Kaiser, Severin A. Korfhage, Karlotta Kürzel, Dr. Anne Helene S. Tandberg, Dr. James Taylor, Franziska I. Theising und Carolin Uhlir, mit Forschenden des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und einem internationalen Team eine Übersicht zu den benthisch lebenden Organismen im Arktischen Ozean erstellt. Hierfür werteten die Wissenschaftler*innen 75.404 Datensätze zu 2.637 verschiedenen Tiefsee-Arten von frei zugänglichen Datenbanken, Informationseinrichtungen sowie nicht digitalisierter wissenschaftlicher Literatur aus. „Wir haben uns dabei auf das Gebiet nördlich des 66. Breitengrades Nord und unterhalb von 500 Metern Tiefe beschränkt“, erläutert Brix. „Die häufigsten Einzelnachweise stellte mit 21.405 Treffern der Stamm der Gliederfüßer, zu denen beispielsweise Asseln oder Ruderfußkrebse gehören, dahinter folgen die Ringelwürmer und Schwämme. Letztere werden beim Artenreichtum von den Mollusken übertroffen“, fährt Saeedi fort.
Eine Zusammenstellung von Lebensraumkarten zeigt zudem, dass die Arktis eine große Vielfalt an geomorphologischen Strukturen aufweist – von unterseeischen Canyons und Kontinentalhängen bis hin zu Seebergen und biologisch erzeugten Erhebungen wie ausgedehnten Kaltwasserkorallenriffen. „Wir haben nicht nur wichtige Tiefseedaten umfassend digitalisiert und in frei zugänglichen Datenbanken veröffentlicht, sondern auch neue Tiefseedaten erhoben, kontrolliert und umfassend analysiert. So konnten wir zeigen, dass der Arktische Ozean entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich eine sehr reiche Organismen-Vielfalt aufweist“, so Saeedi. Durch die Verknüpfung von Faunengruppen mit Gebieten unterschiedlicher Geomorphologie konnte das Forschungsteam Regionen identifizieren, für die es besonders wenig Daten – regelrechte Datenlücken – gibt. Brix fügt hinzu: „Die generationenübergreifende Zusammenarbeit im Rahmen der UN-Ozeandekade und die internationale Kooperation mit Tiefseeexpert*innen sowie dem AWI waren entscheidend für diese Studie.“
„Es ist unbestritten, dass die Tiefsee im Arktischen Ozean weit davon entfernt ist, der leblose, eintönige Lebensraum zu sein, als welcher sie von ihren frühen Entdeckern beschrieben wurde. Wir benötigen aber eine intensivierte, internationale Netzwerk- und Zusammenarbeit sowie ein aktives Monitoring der Umweltparameter und der faunistischen Zusammensetzung. Nur so können wir die Struktur und Funktion des Arktischen Ökosystems besser verstehen und Maßnahmen zur Erhaltung dieses einzigartigen und für die Nordhemisphäre so wichtigen Ökosystems sicherstellen. Gerade im Hinblick auf die steigenden wirtschaftlichen und politischen Interessen, stellt der Mangel an Daten zur benthischen Biodiversität – insbesondere in den tiefen Becken des zentralen Arktischen Ozeans – ein erhebliches Problem für belastbare Management- und Schutzmaßnahmen dar“, warnt Saeedi.
wissenschaftliche Ansprechpartner: Dr. Hanieh Saeedi Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt Tel. 069 7542 1344
Prof. Dr. Angelika Brandt Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt Tel. 069 7542 1240